Demut ist nicht gleich Demut, oder? Thomas Fuller hat von der falschen Demut gesagt: „Der Stolz, der die Demut für ehrenhaft hält, leiht sich oft ihren Mantel.“ Doch auch echte Demut hat unterschiedliche Facetten. Lies die Geschichte, dann wird das deutlich …
Im Jahr 1801 vollendet Ludwig van Beethoven die Klaviersonate Nr. 14 op. 27 Nr. 2 in cis-Moll. Bekannt wird dieses Meisterwerk unter dem Namen Mondscheinsonate.
Das Klavier, an dem Beethoven vielleicht auch dieses Werk komponiert hat, steht in seinem Geburtshaus im Zentrum von Bonn. Heute ist das historische Gebäude ein Museum, das dem Leben und Werk des berühmten Komponisten gewidmet ist. Jeden Tag strömen Heerscharen von Menschen durch die Räume und betrachten ehrfurchtsvoll die ausgestellten Exponate.
Eines Tages ist eine junge, aufgeweckte Musikstudentin aus den USA unter den Besuchern. Es ist schon kurz vor Schluss und so kommt es, dass die junge Frau allein vor dem kostbarsten Exponat des Museums steht, dem Hammerklavier, an dem Beethoven selbst komponiert hat.
Ehrfurchtsvoll betrachtet sie das Instrument.
Die Besucher haben zwar die Möglichkeit, an einem Replikat dieses Hammerklaviers selbst Musik zu spielen, doch dafür ist es schon zu spät. Die junge Frau fasst sich ein Herz und fragt den Wachmann, ob sie ein paar Takte auf dem Original spielen darf. Da sie diese Bitte mit einem lieblichen Augenaufschlag und einem üppigen Trinkgeld garniert, stimmt der Wachmann nach kurzem Zögern zu.
„Aber nur kurz! Und seien Sie vorsichtig!“
Die Studentin setzt sich ans Klavier und schlägt vorsichtig ein paar Tasten an. Gebannt lauscht sie dem Klang der Töne und genießt das Gefühl, an diesem „meisterlichen“ Klavier zu sitzen. Schließlich beginnt sie, die ersten Takte der Mondscheinsonate zu spielen …
Als sie einige Minuten später aufsteht, hat sie Tränen in den Augen und bedankt sich bei dem Wachmann: „Danke, dass Sie mir das ermöglicht haben. Ich nehme an, alle großen Pianisten, die in dieses Museum kommen, wollen einmal auf diesem Klavier spielen. Es ist wunderbar.“
Der Wachmann schüttelt den Kopf.
„Eigentlich nicht. Er letztes Jahr hatten wir Krystian Zimerman aus Polen zu Besuch. Kennen Sie den?“
„Wer kennt ihn nicht?“, fragt sie zurück. „Er ist einer der bedeutendsten Pianisten unserer Zeit. Und gerade Beethoven ist sein Steckenpferd, niemand kann ihn so sensibel interpretieren wie Zimerman“, schwärmt die Studentin.
„Richtig. Und deswegen hatten wir alle uns schon sehr darauf gefreut, ihn hier in diesen Räumen spielen zu hören. Aber wissen, was er sagte?“
„Nein“, sagt die Studentin.
„Er stand genau da, wo Sie jetzt auch stehen. Und er sagte, er würde sich auf keinen Fall an dieses Klavier setzen. Die Hände des Meisters selbst hätten es gespielt und er sei nicht würdig, diese Tasten auch nur zu berühren.“
Der Studentin entgleisen die Gesichtszüge.
Keiner sagt etwas.
„Können Sie mich jetzt bitte hinausbringen?“, fragt sie.
Leise vor sich hinlächelnd bringt der Wachmann sie zum Ausgang.
Ebenso leise vor uns hinlächelnd dürfen wir feststellen, dass die junge Frau soeben eine Lektion in Demut gelernt hat.
Aber wir sollten auch festhalten, dass die Demut aus dieser ausgedachten Geschichte nicht die Demut ist, die uns die Bibel lehrt.
Ich würde die Demut des Pianisten als „kleine Demut“ bezeichnen. Er ist demütig vor Beethoven. Das Klavier ist ihm „heilig“, weil Beethoven daran gespielt hat. Doch abgesehen von der Musik prägt Beethoven nicht sein Leben.
Bei Jesus ist das anders.
Jesus prägt unser Leben. Wie der Pianist vor Beethoven sind wir demütig vor Jesus, wir sind ehrfürchtig vor dem HERRN. Doch unsere Demut geht weiter, sie erstreckt sich über die ganze Schöpfung.
Die Demut des Christen beschreibt die Gesinnung eines Dienenden.
Die Demut des Christen ist eine Haltung des Herzens.
Erst Demut macht uns überhaupt fähig zur Nächstenliebe.
Tut nichts aus Selbstsucht oder nichtigem Ehrgeiz, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst.
(Philipper 2,3; Schlachter)
Der Jesus-Journalist ✍🏻